Montag, 23. Januar 2017

OFFENER BRIEF an Gianni PITTELLA, Fraktionsvorsitzender der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament

Betr.: Die rumänische Sozialdemokratische Partei (PSD)

Mircea BARNAURE: Neue-alte Klasse

Sehr geehrter Herr Pittella!

Wir fragen Sie gerade heraus: Sind Sie stolz auf Ihre rumänischen Genossen von der PSD?
Im Dezember haben sie die Parlamentswahl gewonnen. Aber: Sie haben gewonnen, weil sie unverantwortliche, absolut unerfüllbare Wahlversprechen gegeben und die Öffentlichkeit mit einer wahren Flut xenophober, homophober, nationalistischer, antieuropäischer Parolen überschüttet haben.
Jetzt stellen sie die Regierung. Aber: Ihr dringlichstes Vorhaben ist, eine höchst umstrittene Amnestieverordnung, die korrupten Politikern eine vorzeitige Entlassung bzw. Straffreiheit garantiert, durchzusetzen. (Pikanterweise wird diese Notverordnung als von der EU geforderte Maßnahme zur Verbesserung der Lage in den überfüllten Gefängnissen präsentiert.) Letzte Woche musste Staatspräsident Klaus Iohannis, wie in einem wahren Politthriller, unangemeldet in die Regierungssitzung stürmen, um jene Verordnung zu verhindern. Damit hat er einen kleinen Etappensieg erzielt. Ob er den „Krieg“ gewinnen wird, das ist jedoch mehr als fraglich. Denn Ihrer Genossen Herzensanliegen ist die Zerstörung der immer erfolgreicheren Antikorruptionsbehörde (DNA), also: das Aushöhlen des schwer aufgebauten Rechtssystems.

Verehrter Herr Pittella, die bittere Wahrheit ist diese: In Rumänien existiert keine Sozialdemokratie. Im Grunde gibt es dort überhaupt keine Parteien. Weder linke noch rechte. Was existiert und prächtig gedeiht, das sind Cliquen, Seilschaften, Interessenclans, eine ganze Filzschicht mit sehr resistenten Wurzeln, die bis tief in die kommunistische Vergangenheit reichen (wohlgemerkt: die PSD ist die eigentliche Erbfolgerin der alten rumänischen KP). Ihre Mitglieder scheren sich keinen Deut um Allgemeinwohl oder Parteiethos, sind aber wahre Meister in Sachen Demagogie und Massenmanipulation. Was sie wollen, ist unbedingter Machterhalt zwecks sorgenlosem Genuss illegal angehäufter Vermögen sowie die Sicherung neuer illegaler Einnahmequellen – auch aus EU-Mitteln. 16% (ja, Sie lesen richtig: 16 %!) der rumänischen Parlamentarier haben Probleme mit der Justiz, darunter: der bereits zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilte PSD-Vorsitzende Liviu Dragnea, der ehemalige Premier, Victor Ponta, der unter gerichtlicher Aufsicht gestellt ist (seine alte Plagiatsaffäre nimmt sich angesichts von Geldwäschevorwürfen wie ein niedliches Kavaliersdelikt aus) sowie ihr Verbündeter, der „liberale“ Senatsvorsitzende Calin Popescu Tariceanu. Gegen ihn wird wegen Falschaussage und Verfolgungsbegünstigung ermittelt. Selbstverständlich posieren alle als Unschuldslämmer und werden nicht müde, von widerrechtlichen, nur politisch bedingten Ermittlungen zu sprechen. Ja, einer wie Ponta schämt sich dabei nicht, Parallelen zu den Verfolgungen der Stalinzeit zu ziehen.
Dass diese Haltung nicht abstößt, sondern, im Gegenteil, der Mehrheit aus der Seele spricht, zeigt, dass eine beachtliche innere Revolte gegen alles Westliche, Europäische, das (fälschlicherweise!) mit dem Establishment gleichgesetzt wird, auch in Rumänien stattfindet. Und das ist in der gegenwärtigen politischen Lage fatal.

Nun ruft man jetzt im Westen mehr denn je nach einer starken EU. Berechtigterweise, denn nur eine starke EU garantiert die europäischen Errungenschaften. Dabei meinen wir nicht die ökonomischen Strukturen, die leider immer im Vordergrund stehen, sondern: Aufklärung, freies Denken und Handeln, Menschenwürde, Selbstständigkeit, also all jene Werte, die das Individuum schützen und den menschlichen Geist fördern. Sie sind langsam und schwer erkämpft worden, diese Werte, die heute viele für so selbstverständlich halten, dass sie sie in fahrlässiger Weise geringschätzen. Nicht auszudenken aber, wie der Alltag ohne sie aussähe …
Eine starke EU, also. Eine starke, rechtsstaatlich-demokratische, vorausschauende. Eine, die weiß, was sich wo warum zusammenbraut und plant, vorbeugt, entschieden reagiert. Rumänien aber, obwohl siebtgrößtes EU-Land, ist im Bewusstsein vieler Westeuropäer quasi absent. Driftete es eines schönen Tages in Richtung Moskau ab, würde das ziemlich viele kalt erwischen.

Deshalb wenden wir uns mit diesem Aufruf an Sie, verehrter Herr Pittella. Es gereicht der europäischen Sozialdemokratie ganz und gar nicht zur Ehre, mit dieser hetzenden Ganovenpartei in einem Boot zu sitzen. Sie müssen endlich Ihre rumänischen Genossen ins Visier nehmen, ihnen einen Verhaltenskodex aufzwingen, sie zum Kampf gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit verpflichten. Denn: Führen sie ihr Vorhaben durch, zerstören bzw. entmachten sie die DNA, so wird Rumänien wieder in Willkür und Gesetzeslosigkeit zurückfallen. Und das kann wirklich nicht in europäischem Interesse sein.

Zu guter Letzt: Gestern Abend gingen in ganz Rumänien Zehntausende (unter ihnen auch Klaus Iohannis) auf die Straße, um gegen jene Amnestieverordnung zu demonstrieren. Liviu Dragneas Reaktion: Er verglich diese friedlichen Demonstrationen mit den brutalen (von seinen PSD-Vorgängern organisierten!) Bergarbeiterrebellionen Anfang der 90er Jahre und bezeichnete sie als versuchten Staatsstreich.
Nun, unverfroren zu desinformieren liegt im Welttrend. Aber: Ihm auch erliegen – das dürfte die europäische Sozialdemokratie wirklich nicht. Deshalb fordern wir Sie auf, diese Aussagen mit Nachdruck zu verurteilen.

Mit besten Grüßen,
Ioana Orleanu / Mircea Barnaure

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