Dienstag, 1. November 2016

DANTÈS UND CARTARESCU




© Mircea Barnaure


Stecke fest, mitten in der Hauptstädter Blechlawine. Auf Radio France Internationale – Mircea Cartarescu. Mit monotoner Beharrlichkeit zählt er seine Bücher auf. Dieses hier – wichtigst, jenes dort: darf nicht vergessen werden, das vorletzte: 15 Jahre Arbeit, das letzte: etwas ganz anderes, schon in der dritten Auflage, hat an die 100 Rezensionen, fast alle positiv, ja, die Kritik ist doch nicht am Ende, sie sieht, sie versteht, ist tiefsinnig! Wow. Ich höre weiter zu, sehr aufmerksam sogar, denn ich will ihn nicht verpassen, jenen Augenblick, da vielleicht DAS Wort, DER Gedanke fällt und meine übersprapazierte Geduld belohnt wird. Die Zeit vergeht, mein Mut sinkt.
Doch dann, nach einer geschlagenen Dreiviertelstunde, passiert es, jedoch ganz anders als erwartet. Der Nobelpreisanwärter evoziert Jugendlektüren. Und zaubert er, der Fabulierer vom Dienst, eine seiner unvergesslichen Metaphern hervor: Der junge Edmond Dantès sei eine – Raupe. Eine Raupe? Eine Raupe, tönt es beharrlich monoton, die sich im Gefägnis einpuppt und dann ausbricht und ein allmächtiger Schmetterling wird, DumaS … DumaS? DumaS? Jetzt höre ich nicht mehr zu, sondern warte nur noch, ungeduldigst, auf den Einwand der Moderatorin, sie ist des Französischen nur allzu mächtig, also, korrigiere ihn, kläre ihn auf, komm, sag es endlich, es heißt Dumas und nicht DumaS, o, wie tut das meinen Ohren weh!
Die honigsüße Moderatorin denkt aber nicht daran, den bekanntesten einheimischen Schriftsteller alive in eine so peinliche Lage zu bringen. Also schleimt sie weiter, honigsüß (nach langem Zögern sage ich es doch: bis zum Erbrechen!), das ist ihre Aufgabe, sie erfüllt sie mit Bravour. Wer hat, dem wird gegeben, sinniere ich resigniert, mitten in meiner Hauptstädter Blechlawine. Da hebt sich plötzlich meine Hand und der Zeigefinger drückt auf den off-botton. Mit aller Kraft. Und in der Stille, die nun einbricht, lächle ich das selbstzufriedenste Buddha-Lächeln: Wie schön in einer Zeit zu leben, in der jedem eine gewisse Allmacht gegeben ist...

                                                                                       Ioana Orleanu

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