Freitag, 25. März 2016

GEGEN DAS VERDRÄNGEN


Rodica Drasal / Mircea Barnaure: Rote Vergangenheit...


Das Doppelleben war ein unumstößliches Faktum
unserer Zeit und niemand konnte es umgehen.
Nadeschda Mandelstam

Das Nachhinein pflegt freilich alles rosarot zu färben. Gerührt beugt man sich über die alte Zeit, über die innige Verbundenheit, wie liebte man einander, wie half man sich doch ständig: einer für alle, alle für einen!
Doch in Wahrheit war die Verbundenheit ziemlich lose, schon damals war sich jeder selbst der Nächste, die Liebe war stark konkurrenzgefärbt und die Zeiten, sie waren wirklich nicht dafür geschaffen, Verbundenheit und Hilfsbereitschaft zu begünstigen. Ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, dass wir uns geweigert hätten, das zu tun, was man von uns verlangte. Wenn wir am Sonntagmorgen, um zehn Uhr, die Straßen fegen sollten, so fegten wir die Straßen, wenn wir Lobeshymnen auf die Partei singen sollten, so sangen wir Lobeshymnen, wenn wir fähnchenschwenkend marschieren sollten, so marschierten wir brav mit, und hätte man von uns verlangt, dass wir uns gegenseitig aushorchen, verraten, beschuldigen – ich bin mir ziemlich sicher, wir hätten es getan. Das Neinsagen war bei uns nicht vorgesehen.
Nur ein einziges Mal, ein allereinziges, haben wir es probiert. Die Schule hatte ein Soll an Zeitungsabonnements zu erfüllen. Also befahl man uns zu abonnieren. Keiner war aber an jenem Mist interessiert, instinktiv lehnten wir ab. Ich sehe noch unsere Klassenlehrerin, puterrot, ihren Ohren nicht trauend, höre unsere Stimmen: Aber wir wollen das nicht, wenn wir das nicht wollen!, spüre noch den elektrisierenden Trotz in meinen Adern: wir wehren uns, wir lehnen ab, eine köstliche Wut, die sich da entfesselte, eine Verbrüderung, die mehr verfolgte, als Freizeit so angenehm wie möglich zu organisieren. Endlich! Es dauerte ganze fünf Minuten. Die Klassenlehrerin erklärte uns für verrückt: Seid gewiss, das wird Folgen haben. Sie setzte selbst fest, wer was zu abonnieren hatte. Und keiner murrte mehr.

                                                                                                 Auszug aus LIMESLAND

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