Sonntag, 24. Januar 2016

GEDANKEN ZU EINER MISSGLÜCKTEN TALKSHOW



Mircea Barnaure: Der Verstand geht baden ...

Seien wir doch mal ehrlich: Floskeln, hoffnungslos absehbar, hoffnungslos inauthentisch – das bekommt man bei den meisten Gesprächen in erlauchter Fernsehrunde serviert. Je nach Situation, die immergleichen Fragen, gefolgt von den immergleichen Antworten. So vergehen die Jahre, Moderatoren und ihre VIP-Gäste aus Politik und Wirtschaft altern nebeneinander in trauter Verbundenheit und wir, vor dem Bildschirm, werden auch nicht gerade jünger. Sollen wir damit unsere kostbare Zeit verschwenden?
Wohl nur, wenn uns ein kleiner Perspektivenwechsel gelänge: weg vom langweilig Politischen, hin zum entlarvend Psychologischen. Dann könnte so eine Talkshow zu einem aufschlussreichen Spektakel mutieren.
Nehmen wir zum Beispiel Maischbergers vorletzte Sendung über die Silvesternacht in Köln. Schauen wir uns Andreas Scheuer an, CSU-Generalsekretär und Guttenberg-Klon. Wie süffisant er dasitzt und das Wort an sich reißt und – es nicht mehr hergibt. In Onkel Dagoberts Augen glänzte einst das Dollarzeichen, in Scheuers Augen glänzt jetzt der Spruch: Profiliere dich, profiliere dich! Um jeden Preis! Volker Beck, der Dilemma geplagte innenpolitische Sprecher der Grünen, versucht vergeblich es ihm gleichzutun. Scheuer ist eben ein Meister seines Faches. Mit gelassener Souveränität klatscht er die Erklärungen des Kriminologen Christian Pfeiffer an die Wand, weil dieser die sozial-psychologische Komponente im Verhalten der Kölner Täter ins Gespräch einzubringen wagt: Mich interessieren die Opfer und nicht die Täter, so sein kaltschnäuziges Urteil.
Ein Meister ist aber auch Aizam Mazyk, der Zentralrat der deutschen Muslime, ein Meister des Lavierens. Betretung ausdrücken, aber auch mahnen, eindringlich und im gekonnten Wechselspiel, und dabei die brenzligen Themen wie beiläufig aus den Weg räumen und mit strenger Entschiedenheit verkünden: Unzulässig, ein Riesenfehler - einen Kontext zwischen Religion und den Übergriffen in Köln herzustellen, der Islam ehrt die Frau! Ha, möchte man ihm da von seiner Couch entgegenfauchen, Frau verzichtet dankend auf solch erdrückende Verehrung! Und überhaupt, Herr Zentralrat, wir leben in Europa, im 21. Jahrhundert, da wissen wir schon seit geraumer Zeit, dass Religionen (alle!) Frauen als Menschen zweiter Klasse betrachten, hören Sie also bitte auf, uns auf so billige Weise anzulügen!
Doch frau selbst ist in ihrem Wohnzimmer, nicht im Studio, wo es übergesittet zugeht. Chantal Louis, Vertreterin der führenden Emanzenzeitschrift der Republik, widerspricht zwar noch, doch sie tut es so zaghaft (o, fast vermisst man ihre Übermutter...), dass Mazyk genau so wenig Mühe hat, ihre Einwände an die Wand zu klatschen, wie Scheuer die Pfeiffer'schen: Wir sind nicht in Saudi-Arabien oder Iran, wir sind in Deutschland! Und schon fuchtelt er mit dem Pauschalisierungsvorwurf. Auf der Couch ist man nicht still, sondern gibt ihm sofort zu bedenken, dass ein durchaus wirksames Antidot gegen Pauschalisierungen auch bei seinen Glaubensgenossen selbst liegt, nämlich gegen solche Übergriffe und überhaupt gegen den Terror eine ähnliche Empörung an den Tag zu legen wie seinerzeit gegen die Mohammed-Karikaturen. Im Studio kommt man freilich nicht auf solch ketzerische Gedanken. Und Mazyk kann seinem Unmut freien Lauf lassen, er scheut nicht mehr zurück, selbst vor Opfern – nicht. Traurig, tönt er im Hinblick auf die Silvesternacht, traurig, dass man den Diebstahl und nicht die sexuellen Übergriffe so in den Vordergrund stelle, selbst als Opfer. Hoppla. Das ist jetzt wirklich eine Ungeheuerlichkeit. Hat man sich auf seiner Couch etwa verhört? Nein, ganz und gar nicht. Die Runde jedoch hat sie – überhört. Allen voran: Maischberger selbst. Längst hat sie bedingungslos kapituliert. Zu sehr plagt sie das Grauen, in irgendein Fettnäpfchen zu treten.
Die Moral von der Geschicht':
Politiker treffen grundsätzlich die schlechten Entscheidungen. Dem Primat der Wirtschaft unterworfen, können sie gar nicht anders, als kurzsichtig zu sein. Angela Merkel hat im Sommer, als sie Deutschlands Grenzen für Flüchtlinge öffnete, die richtige Entscheidung getroffen. Und Deutschland konnte der Welt zeigen, dass es aus seiner fürchterlichen Geschichte die richtigen Lehren gezogen hat. Es waren goldene Augenblicke, auf die man stolz sein kann.
Das Erdendasein ist aber komplex, widersprüchlich. Wir schaffen es! Schaffen wir das? Der Wirklichkeit, jener ziemlich unbarmherzigen Dame, muss man etwas mehr als trotzige Zuversicht bieten. Auch kommen Fragen auf: Regierungen, Ministerien, Geheimdienste planen voraus, spielen Szenarien durch, verfügen über Notpläne. Und doch hat man diese Flüchtlingswelle nicht vorausgesehen, im Gegenteil, man hat sich derart überrumpeln lassen, dass Tausende und Abertausende ohne Registrierung einreisen konnten. Kann man sich das vorstellen? Nicht registriert – in diesem unseren sonst bis ins Kleinste registrierungswütigen Deutschland! Dass man mich richtig verstehe: Ich setze hier keine böse Absichten voraus. Wilde Verschwörungstheorien, so wie sie in Osteuropa kursieren (Die diabolische Merkel hat das geplant, Deutschland braucht billige Arbeitskräfte usw., usf.), empfinde ich als hirnrissige Zumutung. Ich spreche von etwas anderem: falschen Einschätzungen, staatlichem Versagen, Schlamperei. Wer übernimmt dafür die Verantwortung?
Vor diesem Hintergrund klingt jenes Wir schaffen es wie ein etwas verzweifeltes Gebot: Wir müssen es schaffen. Weil wir gar keine Alternative haben. Doch das kann nur gelingen, wenn man das eine tut, das andere jedoch nicht lässt. Besinnen wir uns also, dass der Mensch auch das vernunftbegabte Tier ist.

                                                                                           Ioana Orleanu

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