Dienstag, 8. Dezember 2015

LIMESLAND


Mircea Barnaure: Pétaudière...

Interessieren Sie sich für REAL-LITERATUR?
Fasziniert Sie die Widersprüchlichkeit der Welt, haben Sie ein Faible für Nuance und Atmosphäre?
Versuchen Sie wie besessen zu verstehen, was warum um Sie herum passiert?
Dann wird LIMESLANDdas Richtige für Sie sein: Es erzählt von einer Begegnung in einer tragischen Situation, es rechnet ab mit der verformenden Lebensart eines posttotalitären Systems – auf oft sarkastische, manchmal aber auch auf poetische Weise.
Und zum Schluß werden Sie wissen, warum so viele dem Osten den Rücken kehren und gen Westen ziehen. So viel sei verraten: Es ist nicht nur des Geldes wegen.

LESEPROBEN:

Es nieselte, fein und unaufhaltsam. Der Schnee, der die armseligen Häuschen in diesem gottvergessenen Stadtviertel, die ungepflasterte, verschlammte Straße, den Müll auf dem maidan, wo eine alte Frau, eine verwahrloste, gekrümmte Kreatur, die Leiche entdeckt hatte, spärlich bedeckte, schmolz unter der unaufhaltsamen Berieselung dahin, um sich in einen widerlichen Matsch zu verwandeln. Grau, klebrig, schmutzig, so war alles hier, die niedrig hängenden Wolken, der Regen, die Gesichter der Schaulustigen, die in einiger Entfernung beisammenstanden und das Geschehen mit lüsterner Neugierde beobachteten.

Ja, ich hatte diese Stadt geliebt. Vielleicht, weil ich sie nicht richtig gekannt. Vielleicht, weil sie noch anders war. Wir waren auseinandergedriftet, sie und ich, so sehr, dass ich sie jetzt kaum wiedererkannte. Wandelte ich nicht tagtäglich in ganz fremden Landen zwischen ganz fremden Menschen? Ich hatte eine Explosion erwartet, damals, als das Alte zusammenbrach, ein schlagartiges Aufblühen, Frühling, Kraft, packen wir’s an!
Nichts dergleichen geschah. Die Stadt verkam, unwiederbringlich, die Menschen verrohten, ungepflegt, faul, hässlich. Ja, hässlich. Hasserfüllt, hassenswert, verhasst. Hass. Überall Hass. Aggression. „Was, mein Schwanz, willst du? Gefickt seien die Toten deiner Mutter, hörst du?“ Wie konnte man das lieben?

Auf der Landstraße war plötzlich weit und breit niemand zu sehen. Ich gab Gas. Frei sein, frei, fliegen, schwerelos, alles können, alles sein, wie war das leicht und wunderschön! Warum fahren Sie so schnell, haben wir ein Rendezvous mit dem Tod?, fragte Alexandru trocken. Haben Sie etwa Angst? Er schwieg.
Ich bremste ab. Seine Strenge kam mir etwas spielverderberisch vor, dennoch erschien es mir angebracht, mich zu entschuldigen: Ich wollte Sie nicht betrüben. Sie haben mich nicht betrübt. Wirklich nicht? Nein. Dann sagen Sie mir, woran Sie denken. Nein. Warum nicht? Wenn ich es Ihnen sagte … Ja? Es würde Sie betrüben und das möchte ich nicht, weil es sich ganz und gar nicht auf Sie bezieht.

Ja, der Sommer war damals verdammt lang. Die Tage strichen langsam dahin, in ihrem ganz eigenen, gedehnten Rhythmus. Frühmorgens kam Cristina, um die Schafe und Ziegen zur Weide zu führen, man trieb die Gänse zum Fluss, fütterte die Hühner, sammelte die Eier ein; mittags eilte man hinaus, aufs Feld, um denen, die dort hackten oder pflügten, Essen, Wein und tzuica zu bringen, zwischendurch arbeitete man im Obstgarten und im Weinberg; gen Abend, wenn Schafe und Ziegen mit berstend vollem Euter zurückkamen, wurde gemolken; und nur spät, wenn es schon fast dunkel wurde, saß man draußen, auf den Bänken vor den Toren, und plauderte ein bisschen. Der Geruch der Tiere, der Qualm der Holzöfen, auf denen gekocht wurde, der Duft von frisch gebackenem Brot nach der Weizenernte oder von eingekochtem Tomatenmark im September hüllten das Dorf ein und bezeugten, was seine Bewohner gerade taten, was sie aßen, welche die Tagesstunde war und welche die Jahreszeit. So lief das seit Ewigkeiten und so würde es noch Ewigkeiten weiterlaufen. Davon war man überzeugt. Auch Alexandru.

                                                                  



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