Freitag, 31. Oktober 2014

WAHLKAMPF RUMÄNISCH - FÜR UNKUNDIGE AUSLÄNDER. IN 12 SCHRITTEN.




Denke keiner Rumänien sei uninteressant, gar langweilig, ein no-land. (Hand aufs Herz: wer denkt, wenn ihm, oh Wunder!, dieses Land mal einfällt, das nicht? Oder planen Sie Ihren nächsten Urlaub in Rumänien?) Er läge falsch. Grundfalsch. Auf jenen Gefilden ist das zivilisatorische Korsett nur lose geschnürt, der Lebensfluss braust noch ungezügelt dahin. Das mag nicht immer schön oder lobenswert sein, auf den moralinabhängigen Westler kann es gar abstoßend wirken, interessant und spannend ist es aber allemal. Zumal jetzt, wo im wahrsten Sinne der Präsidentschaftswahlkampf tobt. Um dort einigermaßen durchzublicken, bedarf es der Fremdhilfe. Hier ist sie:

1. Der Präsident: Traian Basescu. Spieler. Bezeichnet sich selbst als solcher. Und ist es auch. Ein besessener. Seine Lieblingspartie: divide et impera. Sie hat ihm beträchtliche Feindschaft im ganzen Lande beschert. Seine Popularität ist dahin. Doch Basescu gibt nicht auf. Rühmt sich, das verschurkte System, dem er selbst entsprungen ist, bekniet zu haben. In gewisser Weise stimmt das. Allerlei korrupte Größen sind in den letzten Jahren nacheinander ins Gefängnis gewandert. Kleiner Schönheitsfehler: sie waren fast alle Basescus Feinde. Das erweckt den Eindruck krasser Einseitigkeit: Basescu benutzt den Kampf gegen die Korruption als Waffe, um höchstpersönliche Interessen durchzusetzen.
Sein gegenwärtiges Problem: nach zwei Amtszeiten darf er laut Verfassung nicht mehr weiterspielen. Deshalb setzt er alles auf seine Herzkandidatin, die falschblonde Elena Udrea, und scheut keine Intrige. Sein Einfallsreichtum und seine Energie sind grenzenlos.
Wichtig: er haßt den Premier.

2. Der Premier: Victor Ponta. Junger und bestens vernetzter Vorsitzender jener mächtigen Partei, die unter dem Etikett sozial-demokratisch die Lokalbarone beherbergt. Plagiator. Und: ehemaliger verdeckter Auslandsgeheimdienstler (das verriet neulich der Präsident). Von Natur aus doppelzüngig und chamäleonartig (passt ausgezeichnet zum Geheimdienstler, weniger – zum Premier/Präsidenten). Setzt alles daran, um Präsident zu werden. Erlaubt sich daher allerhand. Schwafeleien über eine Große Vereinigung mit Moldawien (das entzückt die Patrioten); Haushaltsänderungen zwecks hemmungsloser Verteilung von Wahlgeschenken, aber auch Hitlervergleiche und per Notverordnung auf Zeit ausgesetzte Gesetze, auf dass weichgekochte Bürgermeister folgenlos ins gesegnete Regierungslager überlaufen.

3. Klaus Iohannis: Beliebter, weil fähiger Bürgermeister Hermannstadts und Pontas einziger ernstzunehmender Gegenkandidat. Protestantischer Deutschstämmiger. Ursprünglich Physiklehrer. Politischer Quereinsteiger. Ernsthaft und sachorientiert. Einer, der zu Hause Fliesen selbst legt (unerhört – in Rumänien, wo jedermann zu den Herrschaften gehört) und im Rathaus Asphaltformeln überprüft, wenn neue Straßenbelege zu schnell kaputtgehen. Einer, der so konzise antwortet, dass Moderatoren sich wundern, wie viele Fragen sie ihm stellen können. Einer, der Grobschlächtigkeit ablehnt, das althergebrachte Laissez faire überwinden will und, auch im Wahlkampf, auf Fairness setzt. Der Hoffnungsträger also. Hat er wirklich eine Chance?

4. Der Wahlkampf: eine Schlammschlacht, in der jede Niedertracht erlaubt ist. Das bevorzugte Angriffsobjekt: freilich Klaus Iohannis. Bezeichnend dabei: das stillschweigende Einvernehmen, das zwischen dem Basescu- und dem Ponta-Lager in dieser einen Beziehung herrscht. Bezeichnend und nicht von ungefähr. Weil Iohannis die Gefahr darstellt. Er ist nicht einer von - uns. Und er macht womöglich ernst mit seinem Veränderungswillen. Ganz ernst. Deshalb: laßt uns ihn fertig machen. Besudeln wir ihn, was das Zeug hält. Mal sehen, ob seine Weste dann schneeweiß bleibt!
Die Vorgehensweise ist denkbar einfach. Als erstes kehrt man Vorzüge in Fehler um: Iohannis schweift nicht ab – also ist er stumm. Er attackiert nicht unter der Gürtellinie – also ist er schwach. Er redet sich nicht in Rage – also fehlt ihm das Charisma. Er denkt nach, also ist er introvertiert (dieses wahrhaft schlimmen Lasters beschuldigt ihn Basescu höchstpersönlich, sieht er doch in seiner eigenen, frechen Extrovertiertheit die sine-qua-non-Eigenschaft des Staatsoberhaupts). Als zweites verleumdet man und lügt: Iohannis – ein Kinderhändler! Iohannis – ein deutscher Spion! Iohannis – kein richtiger Mann! (Das, weil er keine Kinder hat.) Schließlich, weil man ja nichts riskieren will, schürt man schamlos (und illegal) die Volkes Ängste: man veranlasst die Post, auszutragende Rentenbescheinigungen mit Flyern zu versehen: dass Iohannis Renten kürzen werde, dass Ponta die einzige Rettung sei!

5. Die Parteien: eigentlich mächtige Interessenseilschaften, in denen Doktrinen keine Rollen spielen.

6. Die rechte Opposition: gespalten, verfeindet, egoman. Obwohl 2,2 Millionen Iohannis Kandidatur mit ihrer Unterschrift unterstützen und er somit ihr aussichtsreichster Kandidat ist, konnte sie sich nicht dazu durchringen, ihn geschlossen zu unterstützen. So treten neben Iohannis noch vier weitere Kandidaten aus dem rechten Lager auf, die sich gegenseitig beflissentlich demontieren.

7. Die Korruption: reicht immer noch bis in die höchsten Kreise (ein anschauliches Beispiel: Basescus Bruder = Hauptperson in einem Bestechungsskandal durch einen bekannten Roma-Clan).

8. Die Justiz: steht immer noch unter dem Einfluß der Mächtigen - auf schwachen Beinchen. Gewinnt Ponta die Wahl, so gnade ihr Gott!

9. Die Medien: parteiisch, käuflich, servil.

10. Die Dienste: die Zahl ihrer Mitarbeiter ist Legion. Zu manchen pflegt Basescu engen Kontakt. Deshalb hat er auch ständig Interna parat, die er, je nach Interessenlage, freigiebig der Öffentlichkeit zufließen lässt (s. seine Enthüllungen zu Pontas Geheimdiensttätigkeit). Die Medien sind auch durchspickt. Das hat jüngst ein landesweit bekannter Fernsehmoderator (just der, der Iohannis der Spionage bezichtigte) live und exaltiert mit seiner Selbstenttarnung demonstriert. Krönendes Sahnehäubchen: der Chef des Auslandsgeheimdienstes, der als Unabhängiger kandidiert.

11. Die Gesellschaft: so gespalten, als laufe eine Maginot-Linie durch sie hindurch. Jeder steht sich selbst am nächsten, das Allgemeinwohl – was schert es mich?

12. Der Patriotismus: das Allesvereinende, zu dem sich jedermann bekennt. Leider nur in der Theorie. Die Praxis spricht eine ganz andere Sprache.

Fazit: Rumänien ist nichts für schwache Nerven!
   
                                                                                                                       Ioana Orleanu

1 Kommentar:

  1. Vielleicht hat der "Deutsche" doch eine Chance, weil die Wähler/innen in ihn ihre tiefsitzende Sehnsucht nach Kultur im Sinne von KULTIVIERTHEIT hineinprojizieren? Schön wäre es..!

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